DIE SPRUNGKRAFT DES GELEBTEN AUGENBLICKS
Herbert Lachmayer
Redls Arbeit hat mit der vorstellbaren und erlebbaren Zeit zu tun: Lässt sich der Vorgang der kreativen Einverleibung von Gegenwart – die abgelebte individuelle Situation – in einer visuellen Darstellung dieses höchst persönlichen Prozesses verräumlichen und damit in einer Architektonik komplexer Spuren gleichsam objektivieren? Das Material gibt für die Vergegenständlichung von Zeit den Stoff ab.
Redl geht es um Aktualisierung gesellschaftlich fragmentarisierter Erinnerungsspuren, nicht um das Auftauen gefrorener Privatemotionen im Betrachter, sondern um die Vergegenwärtigung der in Raumetappen abgelebten Zeit als der magisch-künstlerischen Inszenierung für die Begegnung mit einer prekär-leidvollen wie auch vielleicht momenthaft glücklichen Vergangenheit. Der Künstler unterwirft sich dem Exerzitium einer ästhetisch-existenziellen Selbstbegegnung, das aber keineswegs zum Passionsweg einer Leidensdramaturgie aktionistischer Opferhaltung ausartet. In diesem Sinne verfährt er unheroisch und verfällt mitnichten der Faszination einer nostalgischen Pathetik; vom ausgekühlten Formalismus einer dekonstruktivistischen Postmoderne hält er sich gleichermaßen in reflektierender Distanz. Nachgerade hat er kritisch-reflektierende Authentizität im Sinn, lässt die Fantasiebewegung des Betrachters frei und erstickt sie nicht im symbolischen Szenario einer immer auch prätentiösen Lebensgeschichte.
So verhält sich der Künstler seinem Publikum gegenüber zwar hermetisch, öffnet sich diesem aber zugleich ohne jene plakative Geheimnistuerei, die einer Kunst anhaftet, die auf Mystifizierung des Lebensgeschichtlichen setzt. Den Anspruch immanenter Stimmigkeit bei der visuellen Umsetzung seiner Idee einer in den Raum geholten Zeit verfolgt Redl durchaus als ein radikales Ideal ästhetischer Vollkommenheit. Warum nicht den Vergleich zur Plastizität der Wortfolgen Paul Valérys anstellen, wie sie Max Raphael in seinem Essay Anmerkungen über den Prosastil von Valéry entwirft:
„Inmitten einer Wortfolge, die vibriert von den leisesten seelischen Schwingungen der Zuneigung und der Abneigung, der Verwunderung und der Bewunderung, des Hochmuts und der Ironie, des Vertrauens und der Angst, der Zurückhaltung und des Ausbruchs, der Zärtlichkeit und des Neides und unzähliger anderer Gefühle, stehen Sätze von einer Abgelöstheit und musikalischen Geschlossenheit, dass man das Ideal abstrakter Schönheit zu greifen glaubt. Diese Sätze sind wie ein vollkommener Körper – vollkommen in seinem Sein und in seiner Bewegung.“
Es haftet dieser Kunst etwas Kathartisches an: Wer sich darauf einlässt, wird innerlich vermint. Was als Spuren erinnerter Vergangenheit erscheinen mag, ist andererseits keine bloße Sedimentierung des Gewesenen. Vielmehr entpuppt sich diese Kunst als subversive Strategie, die die in gesellschaftlichen Alltagsverkrustungen eingeschlossenen Bilder gleichsam lossprengt, um eine „a-perspektivische Sicht“ (Jean Gebser) auf die je und je verlustig gehende Gegenwart freizumachen: ein Laboratorium der Erinnerungskunst also, in dem kein moralischer Sinn die verstrichenen Ereignisse musealisiert, sondern jene gegensätzliche Bewegung in Spannung gehalten werden soll, die als Sprungkraft des gelebten Augenblicks in der Kapsel der Erinnerung noch keineswegs zur Ruhe gekommen ist.
Aus: Herbert Lachmayer: Vorbemerkung zum Ausstellungskatalog ZUM ENDE DES 20. JHDTS, hrsg. von Thomas Redl und Heinz Resinger, Linz 1992, auszugsweise und mit neuem Titel versehen.
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Herbert Lachmayer
Redls Arbeit hat mit der vorstellbaren und erlebbaren Zeit zu tun: Lässt sich der Vorgang der kreativen Einverleibung von Gegenwart – die abgelebte individuelle Situation – in einer visuellen Darstellung dieses höchst persönlichen Prozesses verräumlichen und damit in einer Architektonik komplexer Spuren gleichsam objektivieren? Das Material gibt für die Vergegenständlichung von Zeit den Stoff ab.
Redl geht es um Aktualisierung gesellschaftlich fragmentarisierter Erinnerungsspuren, nicht um das Auftauen gefrorener Privatemotionen im Betrachter, sondern um die Vergegenwärtigung der in Raumetappen abgelebten Zeit als der magisch-künstlerischen Inszenierung für die Begegnung mit einer prekär-leidvollen wie auch vielleicht momenthaft glücklichen Vergangenheit. Der Künstler unterwirft sich dem Exerzitium einer ästhetisch-existenziellen Selbstbegegnung, das aber keineswegs zum Passionsweg einer Leidensdramaturgie aktionistischer Opferhaltung ausartet. In diesem Sinne verfährt er unheroisch und verfällt mitnichten der Faszination einer nostalgischen Pathetik; vom ausgekühlten Formalismus einer dekonstruktivistischen Postmoderne hält er sich gleichermaßen in reflektierender Distanz. Nachgerade hat er kritisch-reflektierende Authentizität im Sinn, lässt die Fantasiebewegung des Betrachters frei und erstickt sie nicht im symbolischen Szenario einer immer auch prätentiösen Lebensgeschichte.
So verhält sich der Künstler seinem Publikum gegenüber zwar hermetisch, öffnet sich diesem aber zugleich ohne jene plakative Geheimnistuerei, die einer Kunst anhaftet, die auf Mystifizierung des Lebensgeschichtlichen setzt. Den Anspruch immanenter Stimmigkeit bei der visuellen Umsetzung seiner Idee einer in den Raum geholten Zeit verfolgt Redl durchaus als ein radikales Ideal ästhetischer Vollkommenheit. Warum nicht den Vergleich zur Plastizität der Wortfolgen Paul Valérys anstellen, wie sie Max Raphael in seinem Essay Anmerkungen über den Prosastil von Valéry entwirft:
„Inmitten einer Wortfolge, die vibriert von den leisesten seelischen Schwingungen der Zuneigung und der Abneigung, der Verwunderung und der Bewunderung, des Hochmuts und der Ironie, des Vertrauens und der Angst, der Zurückhaltung und des Ausbruchs, der Zärtlichkeit und des Neides und unzähliger anderer Gefühle, stehen Sätze von einer Abgelöstheit und musikalischen Geschlossenheit, dass man das Ideal abstrakter Schönheit zu greifen glaubt. Diese Sätze sind wie ein vollkommener Körper – vollkommen in seinem Sein und in seiner Bewegung.“
Es haftet dieser Kunst etwas Kathartisches an: Wer sich darauf einlässt, wird innerlich vermint. Was als Spuren erinnerter Vergangenheit erscheinen mag, ist andererseits keine bloße Sedimentierung des Gewesenen. Vielmehr entpuppt sich diese Kunst als subversive Strategie, die die in gesellschaftlichen Alltagsverkrustungen eingeschlossenen Bilder gleichsam lossprengt, um eine „a-perspektivische Sicht“ (Jean Gebser) auf die je und je verlustig gehende Gegenwart freizumachen: ein Laboratorium der Erinnerungskunst also, in dem kein moralischer Sinn die verstrichenen Ereignisse musealisiert, sondern jene gegensätzliche Bewegung in Spannung gehalten werden soll, die als Sprungkraft des gelebten Augenblicks in der Kapsel der Erinnerung noch keineswegs zur Ruhe gekommen ist.
Aus: Herbert Lachmayer: Vorbemerkung zum Ausstellungskatalog ZUM ENDE DES 20. JHDTS, hrsg. von Thomas Redl und Heinz Resinger, Linz 1992, auszugsweise und mit neuem Titel versehen.