KORRESPONDENZ DES BLICKES – Annäherungen an das Werk von Thomas Redl
Johannes Domsich
Zitat:
Man gelangt zur Frage „Was kann diese rare Kunst?“. Sie befreit den Betrachter von der mühsamen Suche nach dem Gehalt des Kunstwerks gleichermaßen wie von der nach seiner Aura. Es erfüllt eine Funktion. Zur Debatte steht nicht, wie viele Informationen es zu tragen in der Lage ist, wie eloquent es erzählt, sondern wie wenig Widerstand es dem Betrachter dabei entgegensetzt, auf eine höhere Ebene der Selbst- und der Weltbetrachtung zu gelangen. Redls Arbeiten spiegeln nicht, weder den Künstler noch den Betrachter noch deren Kultur. Sie sind im wahrsten Sinn Medium des Nicht-Darstellbaren. Wie man zwischen den Zeilen guter Texte lesen kann, kann man hinter die Folien der Bilder auf das Wesentliche blicken.
Die Malerei Thomas Redls ist von kontemplativer Natur. Damit ist von vornherein einsichtig, dass sie weder die ästhetische Rezeption noch den arroganten Geschmack des Betrachters bedient noch die naive Freude des Wiedererkennens auslöst. Die Ziele sind andere, und keinesfalls besteht Verwandtschaft zu narrativer Malerei.
Diese Behauptung bewahrheitet sich schon im Prozess des Arbeitens. Mich erinnern die Konzentration und die Wichtigkeit des malerischen Rituals an einen Zen-Handwerker. Die Arbeit ist also nicht zwischen Kreation und Rezeption getrennt, vielmehr werden diese synchronisiert und in einem Punkt, dem Bild, zusammengeführt. Der Betrachter kann die Handlungen des Künstlers nachvollziehen, ohne die Intimität seines Zugangs zu verlieren. Das erklärt die formale Strenge und Ruhe, die die Arbeiten von Thomas Redl auszeichnen. Sie wirken auf eigentümliche Weise transparent, vielleicht sogar luminiszent, was an den Techniken, an den Materialien, vor allem aber am gestischen Ritual, in dem die Werke entstehen, liegt. Dieser Vorgang ist von entscheidender Bedeutung. Hier beweisen sich die Richtigkeit der gereinigten Farben, die Nobilität des Goldes und die archaische Macht des schwarzen Strichs.
Im übertragenen Sinn gilt für Redls Arbeit dasselbe wie für ikonische Malerei. Damit erklärt sich das Material Gold, das seine götzenhafte Schwere zugunsten der Luftigkeit, der beinahe erreichten Durchsichtigkeit des Blattes, tauscht. Man gelangt zur Frage „Was kann diese rare Kunst?“. Sie befreit den Betrachter von der mühsamen Suche nach dem Gehalt des Kunstwerks gleichermaßen wie von der nach seiner Aura. Es erfüllt eine Funktion. Zur Debatte steht nicht, wie viele Informationen es zu tragen in der Lage ist, wie eloquent es erzählt, sondern wie wenig Widerstand es dem Betrachter dabei entgegensetzt, auf eine höhere Ebene der Selbst- und der Weltbetrachtung zu gelangen. Redls Arbeiten spiegeln nicht, weder den Künstler noch den Betrachter noch deren Kultur. Sie sind im wahrsten Sinn Medium des Nicht-Darstellbaren. Wie man zwischen den Zeilen guter Texte lesen kann, kann man hinter die Folien der Bilder auf das Wesentliche blicken. Sie schaffen Einblicke in die Betrachter und Ausblicke in Zonen, die jenseits der Darstellungs- und Themenkonventionen unserer Kultur liegen. In der Architektur angewandt, werden sie zu Öffnungen, zu Durchgängen, zu intimen Fenstern ins Ich und zugleich in die Welt.
Ein weiterer Blickwinkel öffnet sich, wenn man beginnt, den ambulanten, nomadischen Charakter bestimmter Werkgruppen zu erahnen. Das Nomadische begegnet uns zum einen in der Persönlichkeit des Künstlers, zum anderen in der Ortsunabhängigkeit und gleichzeitigen lokalen Richtigkeit seiner Arbeiten. Oftmals scheinen sie wie Markierungen, flüchtige und doch signifikante Zeichen in der Struktur der Architektur oder der Öffentlichkeit. Doch bleiben sie von der Rhythmik, dem Tempo und der Atmosphäre ihrer Umgebung entrückt, obwohl sie sich zumeist an der richtigen Stelle befinden. Das könnte darin gründen, dass sie Rudimente einer Konzentration, einer Zeremonie sind und nun, abgelegt, Ruhe gefunden haben. Die Wirkung, die dadurch entsteht, ist archaisch, vielleicht auch deswegen, weil kein unauflösliches intimes Band zwischen dem Künstler und seinem Werk existiert. Beide sind autonom, sobald der Prozess der Kreation zu Ende ist. Redls Auseinandersetzung mit Architektur, mit dem uns umgebenden und einhüllenden Raum, mit Behausung im ursprünglichen Sinn, lässt tektonische Konzepte und Entwürfe entstehen, die sich von den ökonomischen Zwängen freigespielt haben. Sie behandeln Raum, Proportion, Materialität und Licht im elementaren Sinn.
Gern fragt man nach Motiven und Inspirationen, aus denen ein Künstler schöpft. Im Fall Redls sind eine der wichtigsten Quellen sicherlich die Natur und der Akt ihrer Kultivierung. Damit habe ich den für mich wertvollsten Aspekt seines Arbeitens berührt: die Manifestation des Prozesses des Transfers zwischen Natura und Cultura, zwischen Realität und Abstraktion, Bild und Sprache, der unentwegt die menschliche Wahrnehmung und Erkenntnis prägt. Die Werke Redls unterstützen uns dabei, erneut ein Bewusstsein für diese stete Bewegung zu finden und in ihr das zutiefst Menschliche zu erkennen. Die zentrale Leistung ist die Sichtbarmachung des Gestaltungsprozesses zwischen den Polen der Erkenntnis und Wahrnehmung. So dienen uns diese Arbeiten als Vorbild für den kreativsten aller menschlichen Akte, für den wir den Sensus in der Oberflächlichkeit des Alltäglichen beinahe verloren haben.
Zwingend sind für mich die beispielhaften Strategien, mittels deren er sich den Fragen der Existenz nähert und sie für den entscheidenden Moment in einem für sich bereits medialen Material wie auf einem Mikroskopträger fixiert – wohl gemerkt dem richtigen Material, denn überall sonst wäre der Gedanke flüchtig. Diese Methode bietet noch weitere Facetten: Da ist die Geste, die konzentrierte notierende Bewegung, wie sie uns in den Tuschearbeiten, Serien mit einfachen geometrischen Formen, die sich zu rhythmischen Kompositionen verdichten, begegnet; dort die Objekte und Installationen, die erkennen lassen, was ansonsten nur ein Schatten des Objektes wäre, die Fläche, die den Blick fängt und für das Dahinter bündelt, und der Innenraum, der als Bühne für die Konzentration fungiert, die kein Abbild mehr findet oder braucht. Ein weiteres wichtiges Element ist die Zeit, die im rasenden Takt der Gegenwart unsichtbar geworden ist. Redl macht sie sichtbar, indem er ihre Spuren zum Motiv seiner Auseinandersetzung wählt. Die Objekte der Kristallisation von Erkennen und Wissen jedoch treten in den Hintergrund, so wie der Künstler selbst. Dadurch öffnet sich für uns eine Zone, die unser Inneres sprechen lässt.
In einer Welt, die uns unentwegt und ungefragt Bilder auf die Netzhaut brennt, kommt es einer luxuriösen Entspannung gleich, die Augen zu schließen und sich in die Dimension hinter den Bildern zu denken. Das Obszöne – das kategorisch Öffentliche und das Pornografische – und das allzeit Verfügbare haben unsere Haltung gegenüber den Bildern verändert. Sie sind nicht länger Teil unseres Wissens, unserer Welt, sondern Elemente eines unendlichen Kaleidoskops medialer Beliebigkeiten. Das Weltbild der Postindustrie ist ein Medienbild, das letzte Produkt, das noch lohnt, industriell gefertigt zu werden. Wir machen uns Abbilder, nicht in uns, sondern um uns, machen sie zu Stellvertretern unseres Lebens, die uns zu ersetzen beginnen, indem sie die Erzählung, die ohne Erinnerung nicht sein kann, überflüssig machen. Bilder zu besitzen bedeutet zumeist, sich mit Abbildern zu narkotisieren und dabei die Imagination zu verlieren. Ohne Unterlass zu sehen bedeutet, die Vorstellung, das VER-ICON – das wahre Bild – zu verlieren.
Es sind also nicht die glitzernden Oberflächen der digitalen Welt und deren Spiegelungen, die uns bedrohen, diese so oft von den Apokalyptikern der Kulturen in West und Ost zitierte Bildersintflut, sondern die Unfähigkeit, hinter den Fassaden der permanenten Konsumation neue innere, intime Bilder entstehen zu lassen. Was ist die Erinnerung, was ist unsere Vergangenheit, wenn sie sich nur noch in Schnappschüssen und Videofetzen verfängt?
Bilder der Gegenwart, so mächtig und schrecklich sie auch immer sein mögen, sie lassen uns nur vergessen, sie löschen sich selbst in den Routinen der Medien. Je öfter wir sie betrachten, desto größer wird unsere Distanz zur Realität. Die Virtualität der Medien ist wie eine Trance, die Blicke und Empfindungen löscht. Sinn hat nur, das Bild hinter dem Bild zu bewahren, die Metapher unseres Seins, die zugleich Modell des Lebens ist. Die Lösung in Thomas Redls Werk ist nicht, zu sehen, weil es immer etwas zu sehen gibt und weil in den Medien jederzeit etwas parat ist, sondern die Augen zu schließen und im Nachbild des Erkannten das Erinnerte entstehen zu lassen.
Jedes Wort ist ein Vorurteil, jedes Bild hingegen die Gelegenheit zu poetischer Imagination. Ziel von Thomas Redl ist es nicht, Sichtbares zu verdichten oder mit dem Stempel der eigenen Position und Interpretation zu versehen, sondern er erklärt vielmehr die Welt, auch die seine, in Bildern einer anderen, abstrakten Welt, die wir teilen, ohne uns dessen bewusst zu sein. Durch diese Bilder kann man sehen, was ansonsten flüchtig und unbegreiflich bleibt, man kann es betrachten, deutlich wie durch eine Lebenslupe, da es kein Abbild hat, sondern nur unsere Erinnerung, unsere Einbildung ist.
publiziert in: THOMAS REDL 1992–2004, Installationen / Malerei; Ritter Verlag, Klagenfurt
Johannes Domsich
Zitat:
Man gelangt zur Frage „Was kann diese rare Kunst?“. Sie befreit den Betrachter von der mühsamen Suche nach dem Gehalt des Kunstwerks gleichermaßen wie von der nach seiner Aura. Es erfüllt eine Funktion. Zur Debatte steht nicht, wie viele Informationen es zu tragen in der Lage ist, wie eloquent es erzählt, sondern wie wenig Widerstand es dem Betrachter dabei entgegensetzt, auf eine höhere Ebene der Selbst- und der Weltbetrachtung zu gelangen. Redls Arbeiten spiegeln nicht, weder den Künstler noch den Betrachter noch deren Kultur. Sie sind im wahrsten Sinn Medium des Nicht-Darstellbaren. Wie man zwischen den Zeilen guter Texte lesen kann, kann man hinter die Folien der Bilder auf das Wesentliche blicken.
Die Malerei Thomas Redls ist von kontemplativer Natur. Damit ist von vornherein einsichtig, dass sie weder die ästhetische Rezeption noch den arroganten Geschmack des Betrachters bedient noch die naive Freude des Wiedererkennens auslöst. Die Ziele sind andere, und keinesfalls besteht Verwandtschaft zu narrativer Malerei.
Diese Behauptung bewahrheitet sich schon im Prozess des Arbeitens. Mich erinnern die Konzentration und die Wichtigkeit des malerischen Rituals an einen Zen-Handwerker. Die Arbeit ist also nicht zwischen Kreation und Rezeption getrennt, vielmehr werden diese synchronisiert und in einem Punkt, dem Bild, zusammengeführt. Der Betrachter kann die Handlungen des Künstlers nachvollziehen, ohne die Intimität seines Zugangs zu verlieren. Das erklärt die formale Strenge und Ruhe, die die Arbeiten von Thomas Redl auszeichnen. Sie wirken auf eigentümliche Weise transparent, vielleicht sogar luminiszent, was an den Techniken, an den Materialien, vor allem aber am gestischen Ritual, in dem die Werke entstehen, liegt. Dieser Vorgang ist von entscheidender Bedeutung. Hier beweisen sich die Richtigkeit der gereinigten Farben, die Nobilität des Goldes und die archaische Macht des schwarzen Strichs.
Im übertragenen Sinn gilt für Redls Arbeit dasselbe wie für ikonische Malerei. Damit erklärt sich das Material Gold, das seine götzenhafte Schwere zugunsten der Luftigkeit, der beinahe erreichten Durchsichtigkeit des Blattes, tauscht. Man gelangt zur Frage „Was kann diese rare Kunst?“. Sie befreit den Betrachter von der mühsamen Suche nach dem Gehalt des Kunstwerks gleichermaßen wie von der nach seiner Aura. Es erfüllt eine Funktion. Zur Debatte steht nicht, wie viele Informationen es zu tragen in der Lage ist, wie eloquent es erzählt, sondern wie wenig Widerstand es dem Betrachter dabei entgegensetzt, auf eine höhere Ebene der Selbst- und der Weltbetrachtung zu gelangen. Redls Arbeiten spiegeln nicht, weder den Künstler noch den Betrachter noch deren Kultur. Sie sind im wahrsten Sinn Medium des Nicht-Darstellbaren. Wie man zwischen den Zeilen guter Texte lesen kann, kann man hinter die Folien der Bilder auf das Wesentliche blicken. Sie schaffen Einblicke in die Betrachter und Ausblicke in Zonen, die jenseits der Darstellungs- und Themenkonventionen unserer Kultur liegen. In der Architektur angewandt, werden sie zu Öffnungen, zu Durchgängen, zu intimen Fenstern ins Ich und zugleich in die Welt.
Ein weiterer Blickwinkel öffnet sich, wenn man beginnt, den ambulanten, nomadischen Charakter bestimmter Werkgruppen zu erahnen. Das Nomadische begegnet uns zum einen in der Persönlichkeit des Künstlers, zum anderen in der Ortsunabhängigkeit und gleichzeitigen lokalen Richtigkeit seiner Arbeiten. Oftmals scheinen sie wie Markierungen, flüchtige und doch signifikante Zeichen in der Struktur der Architektur oder der Öffentlichkeit. Doch bleiben sie von der Rhythmik, dem Tempo und der Atmosphäre ihrer Umgebung entrückt, obwohl sie sich zumeist an der richtigen Stelle befinden. Das könnte darin gründen, dass sie Rudimente einer Konzentration, einer Zeremonie sind und nun, abgelegt, Ruhe gefunden haben. Die Wirkung, die dadurch entsteht, ist archaisch, vielleicht auch deswegen, weil kein unauflösliches intimes Band zwischen dem Künstler und seinem Werk existiert. Beide sind autonom, sobald der Prozess der Kreation zu Ende ist. Redls Auseinandersetzung mit Architektur, mit dem uns umgebenden und einhüllenden Raum, mit Behausung im ursprünglichen Sinn, lässt tektonische Konzepte und Entwürfe entstehen, die sich von den ökonomischen Zwängen freigespielt haben. Sie behandeln Raum, Proportion, Materialität und Licht im elementaren Sinn.
Gern fragt man nach Motiven und Inspirationen, aus denen ein Künstler schöpft. Im Fall Redls sind eine der wichtigsten Quellen sicherlich die Natur und der Akt ihrer Kultivierung. Damit habe ich den für mich wertvollsten Aspekt seines Arbeitens berührt: die Manifestation des Prozesses des Transfers zwischen Natura und Cultura, zwischen Realität und Abstraktion, Bild und Sprache, der unentwegt die menschliche Wahrnehmung und Erkenntnis prägt. Die Werke Redls unterstützen uns dabei, erneut ein Bewusstsein für diese stete Bewegung zu finden und in ihr das zutiefst Menschliche zu erkennen. Die zentrale Leistung ist die Sichtbarmachung des Gestaltungsprozesses zwischen den Polen der Erkenntnis und Wahrnehmung. So dienen uns diese Arbeiten als Vorbild für den kreativsten aller menschlichen Akte, für den wir den Sensus in der Oberflächlichkeit des Alltäglichen beinahe verloren haben.
Zwingend sind für mich die beispielhaften Strategien, mittels deren er sich den Fragen der Existenz nähert und sie für den entscheidenden Moment in einem für sich bereits medialen Material wie auf einem Mikroskopträger fixiert – wohl gemerkt dem richtigen Material, denn überall sonst wäre der Gedanke flüchtig. Diese Methode bietet noch weitere Facetten: Da ist die Geste, die konzentrierte notierende Bewegung, wie sie uns in den Tuschearbeiten, Serien mit einfachen geometrischen Formen, die sich zu rhythmischen Kompositionen verdichten, begegnet; dort die Objekte und Installationen, die erkennen lassen, was ansonsten nur ein Schatten des Objektes wäre, die Fläche, die den Blick fängt und für das Dahinter bündelt, und der Innenraum, der als Bühne für die Konzentration fungiert, die kein Abbild mehr findet oder braucht. Ein weiteres wichtiges Element ist die Zeit, die im rasenden Takt der Gegenwart unsichtbar geworden ist. Redl macht sie sichtbar, indem er ihre Spuren zum Motiv seiner Auseinandersetzung wählt. Die Objekte der Kristallisation von Erkennen und Wissen jedoch treten in den Hintergrund, so wie der Künstler selbst. Dadurch öffnet sich für uns eine Zone, die unser Inneres sprechen lässt.
In einer Welt, die uns unentwegt und ungefragt Bilder auf die Netzhaut brennt, kommt es einer luxuriösen Entspannung gleich, die Augen zu schließen und sich in die Dimension hinter den Bildern zu denken. Das Obszöne – das kategorisch Öffentliche und das Pornografische – und das allzeit Verfügbare haben unsere Haltung gegenüber den Bildern verändert. Sie sind nicht länger Teil unseres Wissens, unserer Welt, sondern Elemente eines unendlichen Kaleidoskops medialer Beliebigkeiten. Das Weltbild der Postindustrie ist ein Medienbild, das letzte Produkt, das noch lohnt, industriell gefertigt zu werden. Wir machen uns Abbilder, nicht in uns, sondern um uns, machen sie zu Stellvertretern unseres Lebens, die uns zu ersetzen beginnen, indem sie die Erzählung, die ohne Erinnerung nicht sein kann, überflüssig machen. Bilder zu besitzen bedeutet zumeist, sich mit Abbildern zu narkotisieren und dabei die Imagination zu verlieren. Ohne Unterlass zu sehen bedeutet, die Vorstellung, das VER-ICON – das wahre Bild – zu verlieren.
Es sind also nicht die glitzernden Oberflächen der digitalen Welt und deren Spiegelungen, die uns bedrohen, diese so oft von den Apokalyptikern der Kulturen in West und Ost zitierte Bildersintflut, sondern die Unfähigkeit, hinter den Fassaden der permanenten Konsumation neue innere, intime Bilder entstehen zu lassen. Was ist die Erinnerung, was ist unsere Vergangenheit, wenn sie sich nur noch in Schnappschüssen und Videofetzen verfängt?
Bilder der Gegenwart, so mächtig und schrecklich sie auch immer sein mögen, sie lassen uns nur vergessen, sie löschen sich selbst in den Routinen der Medien. Je öfter wir sie betrachten, desto größer wird unsere Distanz zur Realität. Die Virtualität der Medien ist wie eine Trance, die Blicke und Empfindungen löscht. Sinn hat nur, das Bild hinter dem Bild zu bewahren, die Metapher unseres Seins, die zugleich Modell des Lebens ist. Die Lösung in Thomas Redls Werk ist nicht, zu sehen, weil es immer etwas zu sehen gibt und weil in den Medien jederzeit etwas parat ist, sondern die Augen zu schließen und im Nachbild des Erkannten das Erinnerte entstehen zu lassen.
Jedes Wort ist ein Vorurteil, jedes Bild hingegen die Gelegenheit zu poetischer Imagination. Ziel von Thomas Redl ist es nicht, Sichtbares zu verdichten oder mit dem Stempel der eigenen Position und Interpretation zu versehen, sondern er erklärt vielmehr die Welt, auch die seine, in Bildern einer anderen, abstrakten Welt, die wir teilen, ohne uns dessen bewusst zu sein. Durch diese Bilder kann man sehen, was ansonsten flüchtig und unbegreiflich bleibt, man kann es betrachten, deutlich wie durch eine Lebenslupe, da es kein Abbild hat, sondern nur unsere Erinnerung, unsere Einbildung ist.
publiziert in: THOMAS REDL 1992–2004, Installationen / Malerei; Ritter Verlag, Klagenfurt