DIE FRAGE NACH SICHTBARKEIT UND ERZÄHLBARKEIT
zum aktuellen Werk von Thomas Redl
Wolf Guenter Thiel
01
Robert Fludd hat im frühen 17. Jahrhundert ein schwarzes Quadrat gezeichnet, welches kunsthistorisch als eines der frühesten Beispiele seiner Art angesehen werden kann. Er nannte es in der bekannten Version von 1617 „Utriusque cosmi maioris scilicet et minoris metaphysica.“ Dieses Bild steht sinnbildlich für die Ikonographie der Metaphysik und ist gleichzeitig eine Bildmetapher für die Unendlichkeit, wobei mit größerer Welt der Makrokosmos, also das Universum, gemeint ist, mit der kleinen Welt der Mensch, als Mikrokosmos. Inhaltlich orientierte er sich an den Schriften des Hermes Trismegistos und seinem Corpus Hermeticum, das von dem Neoplatoniker Marsilio Ficino im 15. Jahrhundert wiederentdeckt und übersetzt worden war. Fludd stand damit in der hermetisch-kabbalistischen Tradition der Renaissance, und zwar in der von Ficino und Pico della Mirandola vertretenen Richtung. Fludd hatte jede der vier Seiten mit den gleichen vier Worten versehen: „Et sic in infinitum." Für den Hermetiker Fludd war das Bild insbesondere eine Metapher für die „prima materia“, die Urmaterie, aus der die Welt erschaffen wurde.
Als Kasimir Maletwitsch etwa 300 Jahre später sein schwarzes Quadrat malte, formulierte er keinen hermetischen Gedanken, sondern hatte die Aufklärung des Betrachters im Blick. Seine Kunst war eine Bild gewordene Kritik an der vorherrschenden Kunst seiner Zeit, die sich in der Salonmalerei des späten 19. Jahrhunderts gefiel und ihre Bilder anfüllte mit Attributen gesellschaftlichen Wohlstands. Darüber hinaus versinnbildlichte er im Sinne der künstlerischen Avantgarde - wenn auch in der abgewandelten suprematistischen Form - einen frühen konstruktivistischen und die Gesellschaft verändernden Ansatz. Der Effekt stellt sich bis heute ein. Mit dieser Arbeit hatte er den Lauf der ungegenständlichen Kunst wesentlich beeinflusst und eine Ikone der modernen Kunst geschaffen. Malewitsch selbst beschreibt seine Arbeit so: „Als ich 1913 den verzweifelten Versuch unternahm, die Kunst vom Gewicht der Dinge zu befreien, stellte ich ein Gemälde aus, das nicht mehr war als ein schwarzes Quadrat auf einem weißen Grundfeld. …Es war kein leeres Quadrat, das ich ausstellte, sondern vielmehr die Empfindung der Gegenstandslosigkeit „Das Quadrat = Empfindung / Das weiße Feld = die Leere hinter dem Quadrat.“ Malewitsch hat damit für sich ausgedrückt, was das Schwarze Quadrat und die aus ihm entwickelte Malerei des Suprematismus für ihn verkörpert. Bei der Betrachtung des Werkes soll sich die Empfindung der Gegenstandslosigkeit und der Leere einstellen und den Betrachter vom Profanen des Alltags befreien.
Die Rezeption des Schwarzen Quadrats auf weißem Grund in der westeuropäischen und amerikanischen Kunst von 1945 an ist bis heute ungebrochen. Einerseits sind deutliche Einflüsse in der amerikanischen Malerei des abstrakten Expressionismus und der Minimal Art zu beobachten, andererseits spielen aber auch spirituelle Aspekte, die sich aus der geistes- und religionsgeschichtlichen Herkunft des Werkes ergeben, eine Rolle. Beispiele einer künstlerischen Transposition des Gedanken von Malewitsch finden sich in den grauen Monochromien Gerhard Richters aus den 60er und 70er Jahren und den frühen Übermalungen von Arnulf Rainer. Richter bringt mit den grauen Monochromien, in denen er alle individuellen Spuren weitgehend löscht, seine Distanz zu jedweder Ideologie und auch jedweder ideologischer Vereinnahmung zum Ausdruck. Er stellt sich in die Tradition der konkreten Abstraktion, ohne konkret abstrakt zu sein; seine Verweigerungshaltung ist vielmehr eine bewusst gesetzte und somit eine verständliche im Sinne einer zum Ausdruck gebrachten inhaltlichen Enthaltung. Arnulf Rainer übermalte in den 1950er und 60er Jahren eigene und fremde Bilder. Es ist ein Akt des Auslöschens, auch im Sinne eines aktionistischen Gestus – zugestrichen und zugemalt im Affekt. Das Unerträgliche und Unsinnige wird zugemalt und gelöscht aus einer emotionalen Notwendigkeit heraus; der Malvorgang ist ein Prozess der Selbstreinigung.
02
Richter und Rainer, so unvereinbar sie sein mögen, gehören zum Blickkreis des Künstlers Thomas Redl. Für ihn sind die Aspekte des Unvoreingenommen und Ideologiefernen eines Gerhard Richters genauso prägend wie der aktionistischen Reinigungsprozess eines Arnulf Rainers. In seinen Arbeiten ist das Narrative getilgt zugunsten eines neuen Bildraumes. In diesem leeren Bildraum findet, nach der Löschung der flüchtigen Bilder unserer banalisierten Medienrealität, eine mögliche neue Erzählung statt. Diese sozusagen neue Erzählung hat einen anderen Ort als die Bildoberfläche. Sie definiert sich im Betrachter und konfrontiert ihn, da sie ihm keine linear ablesbare Geschichte bietet, mit seinen eigenen inneren Bildern. Herbert Lachmayer schreibt dazu folgendes: Vielmehr entpuppt sich diese Kunst als subversive Strategie, die die in gesellschaftlichen Alltagsverkrustungen eingeschlossenen Bilder gleichsam lossprengt, um eine „a-perspektivische Sicht“ (Jean Gebser) auf die je und je verlustig gehende Gegenwart freizumachen: ein Laboratorium der Erinnerungskunst (...) (1). In den Installationen erweitert Redl diesen Ort der Erzählung in die räumliche Dimension und in die Materialität. Doch werden in den auf Raumrhythmik und Raumproportion abgestimmten Installationen Materialen gewählt, die einerseits durch die künstlerische Handlung eine Aufladung erfahren, an denen sich aber gleichzeitig der Blick nicht festmachen kann – geschichtete Gläser, die zwischen Transparenz und Spiegelung changieren; flache Becken, die mit schwarz gefärbten Wasser gefüllt, Tiefe suggerieren und gleichzeitig als black mirror die Umgebung reflektieren. Raumtexte und Bilder werden hier erst in der Spiegelung lesbar und somit identifizierbar – das wesentliche Bild ist hier die Reflexion. Was übrig bleibt: Zeiterfahrung als reiner, minimalistisch beschworener Kontakt mit verschiedenen Materialien (2).
Eine weitere Ebene der Abstraktion findet in seinen Papierarbeiten statt – Überarbeitungen von gefundenem Material. Zeitungsseiten, unter anderem aus FAZ, Die Zeit, Standard, werden so weit überarbeitet, dass die vorhandenen Textpassagen nicht mehr oder nur mehr vereinzelt fragmentarisch lesbar sind und die Abbildungen durch transparente Farbschichten solitär stehen bleiben. Die mediale Information wird auf ein Minimum reduziert, die Abbildung rückt in den Fokus und wird emotional aufgeladen. Der Text, so gut und gehaltvoll er ist, füllt den Kopf mit einer Banalität von Diskursen, die den Blick vom Eigentlichen ablenken und vernebeln. Die textliche Struktur wird hier zu einem Hintergrundrauschen für das Bild.
In den Werken Redls ist Leere als archetypische Hypothese im Sinne Platons gemeint und beschreibt Platons Idee der reinen mentalen Formen, Mentalitäten der Seele, bevor sie sich in der Welt zum Ausdruck bringen können und sollen. Redls Arbeiten ermöglichen solche archetypische Erfahrungen der Leere und bringen eben solche immaterielle Mentalitäten zur Anschauung. Hierbei spielt auch die zeitliche Verdichtung eine wesentliche Rolle: das Jetzt-Geschehen wird aus dem Zeitfluss herausgenommen und in einen Raum der Zeitlosigkeit gesetzt. Thomas Redl selbst definiert seine Arbeitsweise folgend:
Als „Jetztarchiv“ versucht die Arbeit ein raumzeitliches Kontinuum darzustellen, wo Vergangenes und Zukünftiges in einer Zeitschleife zu einem „gegenwärtigen Moment“ verdichtet werden und somit der Mensch als Präsenz in der Zeit, als Spur in der Existenz, sichtbar wird.
Changierend zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit, Fläche und Raum, Sprache und bildlicher Darstellung tauchen „Bilder der Erinnerung“ auf, die, wie aus Archiven des Gedächtnisses entnommen, individuelle wie kollektive Geschichte darstellen.(3) Die Geschichte wird dabei nicht verklärt, sondern wird ästhetisch und inhaltlich in der Form der Arbeit transformiert. Herbert Lachmayer spricht von der Aktualisierung gesellschaftlich fragmentarisierter Erinnerungsspuren, die das individuelle Erinnern und die persönliche Emotion aufnehmen; wie die Stimme eines Sängers im Chor in der Vielzahl der Stimmen nicht nur aufgeht, sondern sie im Besonderen bereichert und vervollständigt. So wird die Zeit und die Erfahrung von Zeit im Sinne vieler repräsentativer und persönlicher Erfahrungen des Künstlers erlebbar gemacht, ähnlich dem Komponisten von polyphoner Musik, der ein vielstimmiges Werk schafft, das am Ende jedoch ein Ganzes bildet und als solches gehört und gesehen, empfunden und analysiert werden kann. Die Arbeiten sind also immer polydimensional und nie eindimensional.
03
Der Künstler strebt die komplexe Erfahrung des Moments als Rezeptionserfahrung seiner Arbeit an und nicht den simplen Effekt, die einfache Erzählung, die sich immer schon im ersten Blick erschließt. In den Filmen, die in den letzten Jahren entstanden sind, verdichten sich Bild- und Textelemente zu einem Gesamtgefüge. Hier wird found footage mit Texten unterlegt, auf abstrakte Sequenzen folgen erzählende. Gefilmtes Material und gefundene Bilder aus Printmedien werden in reduziertem Schwarz/Weiß in rhythmischen Abfolgen zu einer umfassenden Repräsentation der Realität zusammengefügt – eine topografische Untersuchung existenzieller Befindlichkeiten. In Räumen installiert, werden sie zu dreidimensional sinnlichen Erfahrungen. Der Film from threshold to threshold (der Titel ist einem Gedichtzyklus von Paul Celan entnommen) wurde im Rahmen der Biennale Venedig 2009 als Rauminstallation mit einem wechselnden Spiel von Projektion und Reflektion installiert. In roadiste picnic (2011) wurden in langsamen Sequenzen Aufnahmen von zerstörten Landschaften und entvölkerten Städten so komponiert, das sie wie aus einer Erinnerungsschleife einen Blick werfen auf die Gegenwart der Ausnahmezustände unserer globalen Zivilisation. Der Blick durch die Kamera ist ein entindividualisierter, ein Blick, der abgekühlt und distanziert mit kalter Panik (4) auf den Zustand der Welt schaut.
Nach Ähnlichem in der Kunst des 20. und beginnenden 21. Jahrhundert gesucht, ist es weniger die spirituelle Kunsterfahrung, die sich bei Barnett Newman oder Joseph Beuys einstellt, sondern eher der komplexe Blick eines Hiroshi Sugimoto oder Christian Boltanski und die geläuterte Sprache in den Texten eines Paul Celan. Sugimoto, der die Kamera über lange Zeiträume auf einen Ort oder Gegenstand richtet, verdichtet das Abgebildete über diesen Zeitraum in einen kontinuierlich lückenlosen Zeit-Anblick im Bild. So zum Beispiel bei den Fotografien von den movie theaters in Amerika, die einen Film vom Anfang bis zum Ende in einem Bild ablichten, sodass am Ende nur noch eine monochrom weiße Leinwand zu sehen ist. Boltanski wiederum legt seinen Blick auf die je und je verschwindende Existenz und die Spuren der Existenz und fragt nach dem, was vom Einzelnen in der Geschichte übrigbleibt. Paul Celan, einer der zentralen Dichter nach der Schoa, hat in seinen Wortfindungen und Gedichten jede Sentimentalität ausgeblendet, um eine objektivierte Schönheit der Sprache zu entwickeln und so seinen persönlichem Schmerz im kollektiven Schmerz aufgehen zu sehen und seine Trauer mit der kollektiven Trauer zu synchronisieren und sie so zum Ausdruck zu bringen.
Bei den aktuellen Installationen Redls mit den schwarz spiegelnden Wasserbecken reflektiert sich nicht nur der Raum mit den angebrachten Texten und Bildern, sondern auch der Betrachter selbst und so steht er im selben virtuellen Raum wie das geschriebene Wort und das projizierte Bild und evoziert das Bild des eigenen Gedankens. Hierbei werden der Gedanke des Künstlers und der Gedanke des Betrachters in einem imaginären Raum zusammengeführt – als Spiegelhaftigkeit des Du. Bei der Ausschau nach analogen Erfahrungsbeschreibungen und Theoremen hilft die Lektüre der lacanschen Idee von der Struktur der menschlichen Psyche(5). Lacan griff unter anderem auf Ansätze und Methoden des Strukturalismus und der Linguistik zurück. Die menschliche Psyche konstituiert sich in der unauflösbaren Trias Imaginäres-Symbolisches-Reales. Ohne auf die komplexe Vorstellung Lacans wirklich eingehen zu können, lohnt jedoch ein Blick auf das Theorem des Borromäischen Knotens. Die drei Strukturbestimmungen des Subjekts R-S-I (Reales-Symbolisches-Imaginäres) sind in der Struktur eines borromäischen Knotens miteinander verbunden, das heißt: Jedes dieser „Register“ des Psychischen bedingt die anderen beiden, sodass die drei Begriffe eine unauflösbare Einheit bilden. Löst man einen von ihnen aus dem Gesamtgeflecht heraus, lösen sich auch die übrigen und das Geflecht verliert seine Kohärenz. Es ist unklar, ob Lacan diese Einheit als universal und unauflöslich betrachtet, oder ob nicht in der Psychose diese Einheit auf traumatische Weise aufgelöst ist. Man könnte viele Arbeiten Redls als borromäischen Knoten bezeichnen, in denen sich das Imaginäre, das Symbolische und das Reale überschneiden. In diesem Sinne lässt sich das Werk von Thomas Redl auf die Hermetik von Robert Fludd und auf die Tradition der Mnemonik beziehen – es stellt einen Gedächtnisraum dar, der sich teilweise entschlüsseln lässt, sich aber gleichzeitig einer vollständigen Lesbarkeit entzieht. Im Sinne eines borromäischen Knotens verkörpert es die Welt in sich und veranschaulicht sie gleichermaßen.
(1) Herbert Lachmayer, in ZUM ENDE DES 20. JHDTS, Ausstellungskatalog Thomas Redl / Heinz Reisinger, Hackwerke Steyr 1992.
(2) Thomas Macho, in ZEITNISCHEN, ein Tag im Zimmer meiner Freunde, Thomas Redl 1992-2004, Installationen / Malerei, Ritter Verlag, Klagenfurt, 2005.
(3) Thomas Redl, in THOMAS REDL – AKTUELLE ARBEITEN, 2006-2011, Broschüre, Eigenverlag.
(4) Paul Virilio, Warten auf das Unerwartete, in DIE VERBLENDUNG DER KUNST; und PANISCHE STADT, Passagen Verlag, 2007, 2008.
(5) Jacques Lacan (1901-1981) war ein französischer Psychiater und Psychoanalytiker, der die Schriften Sigmund Freuds neu interpretierte.
zum aktuellen Werk von Thomas Redl
Wolf Guenter Thiel
01
Robert Fludd hat im frühen 17. Jahrhundert ein schwarzes Quadrat gezeichnet, welches kunsthistorisch als eines der frühesten Beispiele seiner Art angesehen werden kann. Er nannte es in der bekannten Version von 1617 „Utriusque cosmi maioris scilicet et minoris metaphysica.“ Dieses Bild steht sinnbildlich für die Ikonographie der Metaphysik und ist gleichzeitig eine Bildmetapher für die Unendlichkeit, wobei mit größerer Welt der Makrokosmos, also das Universum, gemeint ist, mit der kleinen Welt der Mensch, als Mikrokosmos. Inhaltlich orientierte er sich an den Schriften des Hermes Trismegistos und seinem Corpus Hermeticum, das von dem Neoplatoniker Marsilio Ficino im 15. Jahrhundert wiederentdeckt und übersetzt worden war. Fludd stand damit in der hermetisch-kabbalistischen Tradition der Renaissance, und zwar in der von Ficino und Pico della Mirandola vertretenen Richtung. Fludd hatte jede der vier Seiten mit den gleichen vier Worten versehen: „Et sic in infinitum." Für den Hermetiker Fludd war das Bild insbesondere eine Metapher für die „prima materia“, die Urmaterie, aus der die Welt erschaffen wurde.
Als Kasimir Maletwitsch etwa 300 Jahre später sein schwarzes Quadrat malte, formulierte er keinen hermetischen Gedanken, sondern hatte die Aufklärung des Betrachters im Blick. Seine Kunst war eine Bild gewordene Kritik an der vorherrschenden Kunst seiner Zeit, die sich in der Salonmalerei des späten 19. Jahrhunderts gefiel und ihre Bilder anfüllte mit Attributen gesellschaftlichen Wohlstands. Darüber hinaus versinnbildlichte er im Sinne der künstlerischen Avantgarde - wenn auch in der abgewandelten suprematistischen Form - einen frühen konstruktivistischen und die Gesellschaft verändernden Ansatz. Der Effekt stellt sich bis heute ein. Mit dieser Arbeit hatte er den Lauf der ungegenständlichen Kunst wesentlich beeinflusst und eine Ikone der modernen Kunst geschaffen. Malewitsch selbst beschreibt seine Arbeit so: „Als ich 1913 den verzweifelten Versuch unternahm, die Kunst vom Gewicht der Dinge zu befreien, stellte ich ein Gemälde aus, das nicht mehr war als ein schwarzes Quadrat auf einem weißen Grundfeld. …Es war kein leeres Quadrat, das ich ausstellte, sondern vielmehr die Empfindung der Gegenstandslosigkeit „Das Quadrat = Empfindung / Das weiße Feld = die Leere hinter dem Quadrat.“ Malewitsch hat damit für sich ausgedrückt, was das Schwarze Quadrat und die aus ihm entwickelte Malerei des Suprematismus für ihn verkörpert. Bei der Betrachtung des Werkes soll sich die Empfindung der Gegenstandslosigkeit und der Leere einstellen und den Betrachter vom Profanen des Alltags befreien.
Die Rezeption des Schwarzen Quadrats auf weißem Grund in der westeuropäischen und amerikanischen Kunst von 1945 an ist bis heute ungebrochen. Einerseits sind deutliche Einflüsse in der amerikanischen Malerei des abstrakten Expressionismus und der Minimal Art zu beobachten, andererseits spielen aber auch spirituelle Aspekte, die sich aus der geistes- und religionsgeschichtlichen Herkunft des Werkes ergeben, eine Rolle. Beispiele einer künstlerischen Transposition des Gedanken von Malewitsch finden sich in den grauen Monochromien Gerhard Richters aus den 60er und 70er Jahren und den frühen Übermalungen von Arnulf Rainer. Richter bringt mit den grauen Monochromien, in denen er alle individuellen Spuren weitgehend löscht, seine Distanz zu jedweder Ideologie und auch jedweder ideologischer Vereinnahmung zum Ausdruck. Er stellt sich in die Tradition der konkreten Abstraktion, ohne konkret abstrakt zu sein; seine Verweigerungshaltung ist vielmehr eine bewusst gesetzte und somit eine verständliche im Sinne einer zum Ausdruck gebrachten inhaltlichen Enthaltung. Arnulf Rainer übermalte in den 1950er und 60er Jahren eigene und fremde Bilder. Es ist ein Akt des Auslöschens, auch im Sinne eines aktionistischen Gestus – zugestrichen und zugemalt im Affekt. Das Unerträgliche und Unsinnige wird zugemalt und gelöscht aus einer emotionalen Notwendigkeit heraus; der Malvorgang ist ein Prozess der Selbstreinigung.
02
Richter und Rainer, so unvereinbar sie sein mögen, gehören zum Blickkreis des Künstlers Thomas Redl. Für ihn sind die Aspekte des Unvoreingenommen und Ideologiefernen eines Gerhard Richters genauso prägend wie der aktionistischen Reinigungsprozess eines Arnulf Rainers. In seinen Arbeiten ist das Narrative getilgt zugunsten eines neuen Bildraumes. In diesem leeren Bildraum findet, nach der Löschung der flüchtigen Bilder unserer banalisierten Medienrealität, eine mögliche neue Erzählung statt. Diese sozusagen neue Erzählung hat einen anderen Ort als die Bildoberfläche. Sie definiert sich im Betrachter und konfrontiert ihn, da sie ihm keine linear ablesbare Geschichte bietet, mit seinen eigenen inneren Bildern. Herbert Lachmayer schreibt dazu folgendes: Vielmehr entpuppt sich diese Kunst als subversive Strategie, die die in gesellschaftlichen Alltagsverkrustungen eingeschlossenen Bilder gleichsam lossprengt, um eine „a-perspektivische Sicht“ (Jean Gebser) auf die je und je verlustig gehende Gegenwart freizumachen: ein Laboratorium der Erinnerungskunst (...) (1). In den Installationen erweitert Redl diesen Ort der Erzählung in die räumliche Dimension und in die Materialität. Doch werden in den auf Raumrhythmik und Raumproportion abgestimmten Installationen Materialen gewählt, die einerseits durch die künstlerische Handlung eine Aufladung erfahren, an denen sich aber gleichzeitig der Blick nicht festmachen kann – geschichtete Gläser, die zwischen Transparenz und Spiegelung changieren; flache Becken, die mit schwarz gefärbten Wasser gefüllt, Tiefe suggerieren und gleichzeitig als black mirror die Umgebung reflektieren. Raumtexte und Bilder werden hier erst in der Spiegelung lesbar und somit identifizierbar – das wesentliche Bild ist hier die Reflexion. Was übrig bleibt: Zeiterfahrung als reiner, minimalistisch beschworener Kontakt mit verschiedenen Materialien (2).
Eine weitere Ebene der Abstraktion findet in seinen Papierarbeiten statt – Überarbeitungen von gefundenem Material. Zeitungsseiten, unter anderem aus FAZ, Die Zeit, Standard, werden so weit überarbeitet, dass die vorhandenen Textpassagen nicht mehr oder nur mehr vereinzelt fragmentarisch lesbar sind und die Abbildungen durch transparente Farbschichten solitär stehen bleiben. Die mediale Information wird auf ein Minimum reduziert, die Abbildung rückt in den Fokus und wird emotional aufgeladen. Der Text, so gut und gehaltvoll er ist, füllt den Kopf mit einer Banalität von Diskursen, die den Blick vom Eigentlichen ablenken und vernebeln. Die textliche Struktur wird hier zu einem Hintergrundrauschen für das Bild.
In den Werken Redls ist Leere als archetypische Hypothese im Sinne Platons gemeint und beschreibt Platons Idee der reinen mentalen Formen, Mentalitäten der Seele, bevor sie sich in der Welt zum Ausdruck bringen können und sollen. Redls Arbeiten ermöglichen solche archetypische Erfahrungen der Leere und bringen eben solche immaterielle Mentalitäten zur Anschauung. Hierbei spielt auch die zeitliche Verdichtung eine wesentliche Rolle: das Jetzt-Geschehen wird aus dem Zeitfluss herausgenommen und in einen Raum der Zeitlosigkeit gesetzt. Thomas Redl selbst definiert seine Arbeitsweise folgend:
Als „Jetztarchiv“ versucht die Arbeit ein raumzeitliches Kontinuum darzustellen, wo Vergangenes und Zukünftiges in einer Zeitschleife zu einem „gegenwärtigen Moment“ verdichtet werden und somit der Mensch als Präsenz in der Zeit, als Spur in der Existenz, sichtbar wird.
Changierend zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit, Fläche und Raum, Sprache und bildlicher Darstellung tauchen „Bilder der Erinnerung“ auf, die, wie aus Archiven des Gedächtnisses entnommen, individuelle wie kollektive Geschichte darstellen.(3) Die Geschichte wird dabei nicht verklärt, sondern wird ästhetisch und inhaltlich in der Form der Arbeit transformiert. Herbert Lachmayer spricht von der Aktualisierung gesellschaftlich fragmentarisierter Erinnerungsspuren, die das individuelle Erinnern und die persönliche Emotion aufnehmen; wie die Stimme eines Sängers im Chor in der Vielzahl der Stimmen nicht nur aufgeht, sondern sie im Besonderen bereichert und vervollständigt. So wird die Zeit und die Erfahrung von Zeit im Sinne vieler repräsentativer und persönlicher Erfahrungen des Künstlers erlebbar gemacht, ähnlich dem Komponisten von polyphoner Musik, der ein vielstimmiges Werk schafft, das am Ende jedoch ein Ganzes bildet und als solches gehört und gesehen, empfunden und analysiert werden kann. Die Arbeiten sind also immer polydimensional und nie eindimensional.
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Der Künstler strebt die komplexe Erfahrung des Moments als Rezeptionserfahrung seiner Arbeit an und nicht den simplen Effekt, die einfache Erzählung, die sich immer schon im ersten Blick erschließt. In den Filmen, die in den letzten Jahren entstanden sind, verdichten sich Bild- und Textelemente zu einem Gesamtgefüge. Hier wird found footage mit Texten unterlegt, auf abstrakte Sequenzen folgen erzählende. Gefilmtes Material und gefundene Bilder aus Printmedien werden in reduziertem Schwarz/Weiß in rhythmischen Abfolgen zu einer umfassenden Repräsentation der Realität zusammengefügt – eine topografische Untersuchung existenzieller Befindlichkeiten. In Räumen installiert, werden sie zu dreidimensional sinnlichen Erfahrungen. Der Film from threshold to threshold (der Titel ist einem Gedichtzyklus von Paul Celan entnommen) wurde im Rahmen der Biennale Venedig 2009 als Rauminstallation mit einem wechselnden Spiel von Projektion und Reflektion installiert. In roadiste picnic (2011) wurden in langsamen Sequenzen Aufnahmen von zerstörten Landschaften und entvölkerten Städten so komponiert, das sie wie aus einer Erinnerungsschleife einen Blick werfen auf die Gegenwart der Ausnahmezustände unserer globalen Zivilisation. Der Blick durch die Kamera ist ein entindividualisierter, ein Blick, der abgekühlt und distanziert mit kalter Panik (4) auf den Zustand der Welt schaut.
Nach Ähnlichem in der Kunst des 20. und beginnenden 21. Jahrhundert gesucht, ist es weniger die spirituelle Kunsterfahrung, die sich bei Barnett Newman oder Joseph Beuys einstellt, sondern eher der komplexe Blick eines Hiroshi Sugimoto oder Christian Boltanski und die geläuterte Sprache in den Texten eines Paul Celan. Sugimoto, der die Kamera über lange Zeiträume auf einen Ort oder Gegenstand richtet, verdichtet das Abgebildete über diesen Zeitraum in einen kontinuierlich lückenlosen Zeit-Anblick im Bild. So zum Beispiel bei den Fotografien von den movie theaters in Amerika, die einen Film vom Anfang bis zum Ende in einem Bild ablichten, sodass am Ende nur noch eine monochrom weiße Leinwand zu sehen ist. Boltanski wiederum legt seinen Blick auf die je und je verschwindende Existenz und die Spuren der Existenz und fragt nach dem, was vom Einzelnen in der Geschichte übrigbleibt. Paul Celan, einer der zentralen Dichter nach der Schoa, hat in seinen Wortfindungen und Gedichten jede Sentimentalität ausgeblendet, um eine objektivierte Schönheit der Sprache zu entwickeln und so seinen persönlichem Schmerz im kollektiven Schmerz aufgehen zu sehen und seine Trauer mit der kollektiven Trauer zu synchronisieren und sie so zum Ausdruck zu bringen.
Bei den aktuellen Installationen Redls mit den schwarz spiegelnden Wasserbecken reflektiert sich nicht nur der Raum mit den angebrachten Texten und Bildern, sondern auch der Betrachter selbst und so steht er im selben virtuellen Raum wie das geschriebene Wort und das projizierte Bild und evoziert das Bild des eigenen Gedankens. Hierbei werden der Gedanke des Künstlers und der Gedanke des Betrachters in einem imaginären Raum zusammengeführt – als Spiegelhaftigkeit des Du. Bei der Ausschau nach analogen Erfahrungsbeschreibungen und Theoremen hilft die Lektüre der lacanschen Idee von der Struktur der menschlichen Psyche(5). Lacan griff unter anderem auf Ansätze und Methoden des Strukturalismus und der Linguistik zurück. Die menschliche Psyche konstituiert sich in der unauflösbaren Trias Imaginäres-Symbolisches-Reales. Ohne auf die komplexe Vorstellung Lacans wirklich eingehen zu können, lohnt jedoch ein Blick auf das Theorem des Borromäischen Knotens. Die drei Strukturbestimmungen des Subjekts R-S-I (Reales-Symbolisches-Imaginäres) sind in der Struktur eines borromäischen Knotens miteinander verbunden, das heißt: Jedes dieser „Register“ des Psychischen bedingt die anderen beiden, sodass die drei Begriffe eine unauflösbare Einheit bilden. Löst man einen von ihnen aus dem Gesamtgeflecht heraus, lösen sich auch die übrigen und das Geflecht verliert seine Kohärenz. Es ist unklar, ob Lacan diese Einheit als universal und unauflöslich betrachtet, oder ob nicht in der Psychose diese Einheit auf traumatische Weise aufgelöst ist. Man könnte viele Arbeiten Redls als borromäischen Knoten bezeichnen, in denen sich das Imaginäre, das Symbolische und das Reale überschneiden. In diesem Sinne lässt sich das Werk von Thomas Redl auf die Hermetik von Robert Fludd und auf die Tradition der Mnemonik beziehen – es stellt einen Gedächtnisraum dar, der sich teilweise entschlüsseln lässt, sich aber gleichzeitig einer vollständigen Lesbarkeit entzieht. Im Sinne eines borromäischen Knotens verkörpert es die Welt in sich und veranschaulicht sie gleichermaßen.
(1) Herbert Lachmayer, in ZUM ENDE DES 20. JHDTS, Ausstellungskatalog Thomas Redl / Heinz Reisinger, Hackwerke Steyr 1992.
(2) Thomas Macho, in ZEITNISCHEN, ein Tag im Zimmer meiner Freunde, Thomas Redl 1992-2004, Installationen / Malerei, Ritter Verlag, Klagenfurt, 2005.
(3) Thomas Redl, in THOMAS REDL – AKTUELLE ARBEITEN, 2006-2011, Broschüre, Eigenverlag.
(4) Paul Virilio, Warten auf das Unerwartete, in DIE VERBLENDUNG DER KUNST; und PANISCHE STADT, Passagen Verlag, 2007, 2008.
(5) Jacques Lacan (1901-1981) war ein französischer Psychiater und Psychoanalytiker, der die Schriften Sigmund Freuds neu interpretierte.